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Deliver the Wow – Kreuzfahrtjob made in the USA

In einem meiner letzten Artikel habe ich von meinem allerersten Vertrag als Crewmitglied auf einem Kreuzfahrtschiff erzählt. Da lief alles recht chaotisch ab. Ein paar Jahre danach heuerte ich für eine US-amerikanische Reederei an. Hier stand ein komplettes Kontrastprogramm an.

Bevor ich an Bord durfte, gab es daheim noch viel zu erledigen. Alles last minute, denn Bordeinsätze werden arbeitgeberseitig meist ganz kurzfristig angefragt, wenn jemand unerwartet ausfällt. Ganz nach dem Motto: Kannst du morgen einsteigen? In diesem Fall hatte ich eine Woche Zeit. All die Vorbereitungen berücksichtigend war das nicht viel. Besonders zeitraubend waren die obligatorischen Gesundheitsuntersuchungen, die so komplex waren, dass ich sie nicht alle einfach bei meinem Hausarzt machen konnte. Zunächst einmal mussten alle Ärzte in der Lage sein, die Ergebnisse in englischer Sprache festzuhalten. Die Kosten für diese aufwendigen Medicals waren mit rund € 700.- auch sehr beachtlich.

Neben klassischen Untersuchungen wie Hör- und Sehtests, Schwangerschafts- und Drogentests, Blutbild, usw. musste ich zum Beispiel auch meine Lunge röntgen lassen. Ich musste von Arzt zu Arzt zu Krankenhaus rennen, um alles innerhalb einer Woche zu schaffen. Das war schon etwas belästigend, aber so war es nun einmal und verständlich ist es in gewisser Weise ja auch. Mindestens genauso befremdlich war es übrigens mit einem beträchtlichen Investment von rund € 700 in einen neuen Job zu starten. Kosten, die nicht erstattet werden und immer wieder aufkommen, da die Medicals in regelmäßigen Abständen „aufgefrischt“ werden müssen.

Mein erster Tag an Bord des US-Kreuzfahrtschiffs

Mit allem nötigen Papierkram ausgerüstet ging es ins Crew Office, wo sich ein dreiköpfiges Team um alle (Neu)Ankömmlinge kümmerte: sie überprüften die Dokumente, checkten die Crew ein, machten ein Foto, wiesen die Kabinen zu und druckten die Crew SeaPass Karten mit Foto, Namen, Position und Emergency Duty. Danach wurde ich von meiner „Patin“ abgeholt. Meine Kollegin Ana aus Portugal, mit der ich die nächsten Monate im Duo arbeiten sollte.

„Sag mir bitte, dass das nicht dein erster Schiffsvertrag ist.“ – Ich: „Nein, ich war vorher bei MSC.“ Sie lachte erleichtert und beeindruckt zugleich: „Na dann kann dich ja nichts mehr so leicht umhauen und ich muss nicht deinen Babysitter spielen.“

Das war nicht nötig. Ich bin bei meinem ersten Schiffsvertrag durch die harte Schule gegangen. Das hatte sie schon richtig eingeschätzt. Dennoch, ich war überrascht welcher Ruf meiner ehemaligen Reederei bei anderen Crewmitgliedern vorauseilte. Nun denn, schön, dass sie sich darüber freut. Ana half mir meine Kabine zu finden und ich trottete mit meinem viel zu großen Koffer einfach hinterher. Angekommen staunte ich nicht schlecht: Ich hatte tatsächlich eine eigene Kabine, eine sehr kleine, aber sie war meine. Yeah, wenigstens ein bisschen Privatsphäre!

Als nächstes ging es zur Laundry, der Wäscherei, wo ich meine Uniform bekam und mich auch gleich darauf umzog, denn im Dienst ist man sofort. Keine Schonzeit oder gar ein Tag, um in Ruhe anzukommen. Aber das kannte ich nicht anders. Also alles gut. Fertig ausgerüstet führte sie mich durch das Schiff und stellte mir auf dem Weg schon ein paar neue Kollegen vor.

Kreuzfahrtjob

Die wunderbare Jewel of the Seas

Bei dem kleinen Rundgang verstand ich, warum das Schiff so benannt wurde. Das Juwel der Meere gehört zur Radiance Klasse der Schiffe, die alle auf klassische Eleganz setzen. In der Mitte befand sich ein offenes Atrium, auf das man von 7 Decks hinabschauen konnte. Die Aufzüge waren komplett aus Glas. Alles in allem sehr stilvoll, so auch unser Büro auf Deck 8. Ich liebte es. Es war nicht mittendrin, es war groß und offen. Neben der Ecke für die Sprechstunden mit Tisch und Stühlen gab es auch eine Sofaecke, sodass die wartenden Gäste es sich bequem machen konnten bis sie an der Reihe waren.

Alle, denen wir begegneten waren unglaublich freundlich. Es war wesentlich internationaler als ich es bei meiner ersten Schiffserfahrung erlebt hatte. Viele der Crewmitglieder waren Mexikaner, Kanadier, Inder, Briten, Kolumbianer, Portugiesen, Kroaten, Brasilianer und so weiter und so fort – insgesamt 60 Nationalitäten. Die Welt versammelt an einem Ort. Und es funktioniert – besser als bei der UN, wie der Kapitän aus Norwegen gerne scherzte.

Zum Schluss stoppten wir am Guest Services Desk, wo ich im Back Office unsere Vorgesetzte, die Guest Services Managerin Marie aus Frankreich, kennenlernte. Sie begrüßte mich herzlich und auch sie wollte als Erstes wissen, ob dies mein erster Vertrag sei. Ihre Reaktion auf meine Antwort war genau dieselbe wie die von Ana kurz zuvor. Komisch, aber gut für mich würde ich sagen. Marie drückte mir eine Liste meiner bevorstehenden Termine in die Hand. Bevor ich voll und ganz in die Arbeit als International Ambassador einsteigen konnte, musste ich allgemeine Trainings absolvieren. Jeden Vormittag, eine Woche lang – ab morgen. Doch jetzt musste ich erstmal zum Safety Officer für die New Hire Einweisung, ohne die das Schiff nicht ablegen darf. Heute ist Turnaround Day, also ein Tag, der nicht ohne ist. Von einem klassischen Turnaround Day und seinen Strapazen hatte ich ja schon mal berichtet.

Die Brainwash Woche kann losgehen

Das erste Training für alle New Hires (das sind alle, die das erste Mal an Bord sind) und Rückkehrer, die ihre Trainings wieder auffrischen müssen, startet um 9:00 Uhr im Konferenzraum. Es gibt ungenießbaren Filterkaffee und Pastries, die vom gestrigen Gästebuffet noch übrig waren.

In dieser Woche geht es um Sicherheit, um die Reederei, die sich selbst feiert*, um die Servicestandards, die Unternehmenskultur, die Benimmregeln, die Zero Tolerance Policy und wir sehen Videos, in denen uns vorgeführt wird, wie man sich zu pflegen hat. Man soll frisch geduscht in den Tag starten, Deo benutzen, die Uniform vernünftig tragen, das Namensschild an exakt der und der Stelle tragen und vieles mehr. Im Großen und Ganzen Selbstverständlichkeiten, insbesondere das Thema persönliche Hygiene, aber scheinbar war es doch nötig das allen nochmal einzubläuen. Im Video rückt ein Crew Mitglied nochmal alles zurecht, strahlt sich im Spiegel an und sagt laut: Ready to Deliver the Wow**!

*ich schreibe das hier so sarkastisch, aber in dem Moment hat es mich natürlich total mitgerissen. Die Amis wissen halt wie man begeistert.

**Deliver the Wow gehört zu den Servicestandards, an die Crewmitglieder sich im Dienst am Gast halten müssen

Internationalität, Vielfalt & Grooming

Weiterhin geht es um kulturelle Vielfalt, kulturelle Unterschiede, Toleranz & Akzeptanz, um ein gutes Miteinander und darum gemeinsam das Beste für die Gäste zu geben – in Anlehnung an die vorgegebenen Servicestandards.

Die Grooming-Standards (Pflege und Aussehen) werden in schriftlicher Form festgehalten und müssen von allen unterzeichnet werden. Es gibt außer der Dusch- und Deo Regel genaue Anweisungen wie groß Schmuck sein darf, wie man sich schminken darf/sollte und wie die Haare gestylt werden sollten. Unsereins fragt sich, warum man uns so detailliert beibringt zu duschen. Eine Selbstverständlichkeit. Oder nicht? Wie ich des Öfteren höre „… ist es notwendig, da es für einige Nationalitäten eben nicht selbstverständlich ist und man ihnen persönliche Körperhygiene beibringen muss“. Zählt das noch zum „wir zelebrieren unsere kulturelle Vielfalt“ oder kratzt es dann doch an der schnell ausgespuckten Begrifflichkeit Rassismus?

Sexuelle Belästigung & Zwischenmenschliche Beziehungen

Das große Thema „Sexual Harrassment“ (=sexuelle Belästigung) kommt auch zur Sprache. Zunächst wird geklärt, dass Crewmitglieder sich außerhalb der professionellen Basis nicht mit Gästen einlassen dürfen, mit anderen Crewmitgliedern ist es auf einvernehmlicher Basis gestattet. Wann werden Grenzen überschritten, was ist ok und was sollte man melden?

Im Video wird eine Kellnerin im Restaurant gezeigt, die von ihrem Vorgesetzten betatscht wird. Er verspricht ihr eine bessere „Station“, wenn sie „nett“ zu ihm ist. Kurz zur Info: die Station ist die zugeteilte Sektion im Restaurant. Von ihr hängt nicht selten ab mit wie viel Trinkgeld zu rechnen ist oder wie weit die Wege zur Küche sind, etc. Im Video wird herausgestellt, dass dieses Vorgesetztenverhalten unangebracht ist und beim nächsthöheren Dienstgrad gemeldet werden muss. Soweit die Theorie. In der Praxis ist es dann bei solchen Vorkommnissen dann doch nicht ganz so einfach. Es herrscht viel Vetternwirtschaft und Schutz, wenn man sich mit den richtigen Leuten gut stellt. Am Ende kann es soweit kommen, dass „das Opfer“ am Ende als der/die Schuldige/r dasteht. Alles schon gesehen.

Generell hat niemand etwas an zwischenmenschlichen Beziehungen unter der Crew etwas auszusetzen – wie gesagt, die Einvernehmlichkeit vorausgesetzt. Beziehungen jeglicher Art zu Gästen sind strikt untersagt. Lässt man sich dazu hinreißen droht der sofortige Rauswurf. Ähnliche Regeln gab es bei meiner ersten Reederei auch, doch da konnten sie von bestimmten hochrangigen Offizieren gerne etwas ausgedehnt werden – ganz im Sinne von Guest Services, also der Gästebefriedigung… ähm Gästezufriedenheit natürlich. Bei den Amis ging es schon etwas strenger zu. Da gibt es sicher einen Zusammenhang mit der allgemein bekannten Vorliebe der US-Amerikaner für Klagen in Millionenhöhe. Wird da eine Hand für das gemeinsame Foto eine Sekunde zu lang aufgelegt, heißt es gleich sexuelle Belästigung und die Reederei wird verklagt.

Ja, für alle, die schon als Gäste an Bord waren, genau das ist der Grund warum der Kapitän zum Beispiel seine Hände in der Luft oder direkt bei sich vor seinem Körper lässt. Just to be on the safe side you know.

Zero Tolerance

Außerdem wird ein erheblicher Fokus auf die Zero Tolerance Policy gelegt. Die kam bereits in meinem Beitrag über den Rausch auf See zur Sprache. Es geht einfach darum, dass es bei schweren Vergehen wie Drogenmissbrauch, übermäßigen Alkoholkonsum, Gewaltanwendung, etc. keine Gnade gibt. Sporadisch werden immer wieder unerwartete Tests durchgeführt. Wird man erwischt, ist man direkt raus – Null Toleranz – der Name ist Programm. Meistens. Manch einer hatte dank Vetternwirtschaft dann doch eine etwas längere Gnadenfrist, aber so läuft das eben. Fair ist es nicht, aber so ist es in der Realität. Letztlich ist der Mikrokosmos Schiff auch nur ein Spiegel der Gesellschaft.

Bei allgemeinen Nachlässigkeiten übrigens wie Unpünktlichkeit und ähnlichem gibt es mindestens 3 Warnings, bevor man des Schiffes verwiesen wird.

Die Auswirkungen

Wir haben Imagefilme über das Unternehmen gesehen – typisch US-Style „immer größer, immer schneller, immer weiter, immer besser“. Die großen Macher kommen zu Wort und richten mit Bedacht auserwählte Phrasen an ihre Mitarbeiter. Am Ende entsteht das Gefühl für das beste Unternehmen der Welt zu arbeiten ohne dass diese Worte jemals in den Mund genommen wurden. Alles scheint fair und tolerant. In den Jahren, die ich für diese Reederei gearbeitet habe, hat sich das im Großen und Ganzen auch bewahrheitet, aber eben nicht immer. Das lässt sich wohl kaum in einem Konzern dieses Ausmaßes verhindern. Es ist nicht alles Gold was glänzt, aber man gibt sich Mühe, was viele andere nicht tun.

Am Ende ist jedes Kreuzfahrtschiff wie ein eigenständiger Staat mit dem Kapitän als Präsident – es gelten die allgemeinen Regeln, aber auch seine (/ihre) eigenen individuellen.

Wie gerne würde ich schlussendlich festhalten, dass ich mich von dieser Marketingraffinesse nicht blenden lasse, ich nicht darauf hereinfalle, aber es wäre schlichtweg gelogen.

Ich habe großartige Zeiten an Bord erlebt, die ich auf keinen Fall missen möchte. Zum großen Teil liegt es an den Menschen, die ich kennenlernen durfte und die ein Teil meines Lebens geworden sind – und umgekehrt. Ich sehe, dass trotz aller Marketingraffinesse nicht alles rechtens läuft und vieles doch nur aufgebauscht ist. Dass eine Traumwelt erschaffen wird, nicht nur für die Gäste, sondern auch für die Mitarbeiter. Die Crew wird so sehr in dieses geile Produkt involviert, dass sie nicht anders können als Stolz zu verspüren, um so ein wenig die harte Arbeit dahinter zu vergessen oder sie sich kleinzureden. Jeder hat andere Motive einem Kreuzfahrtjob nachzugehen. Die einen wollen einfach nur Geld verdienen, die anderen wollen die Welt bereisen, Karriere machen, der Realität an Land entkommen, etc. Die Motive sind so vielfältig wie die Menschen selbst.

Eines hat diese Reederei jedoch perfektioniert: Dieses Brainwashing, welches ich weder als positiv noch als negativ bewerten möchte – sicher ist es eine Mischung aus beidem. Neben all der positiven Aspekte habe ich auch viel Ungerechtes gesehen, das meinen Vorstellungen widerspricht. Und trotzdem -und das ist das Abstrakte-, wenn mich heute (inzwischen fast 10 Jahre später!) jemand fragt, ist das noch immer die einzige Reederei, die ich Gästen und Mitarbeitern empfehlen würde. Ich kann mich dieser Emotion nicht verwehren oder sie gar leugnen.

Es ist einfach das perfektionierte Brainwashingkonzept made in the USA, das offenbar ein Leben lang hält.

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