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Arbeiten an Bord: Eskalation Kurzkreuzfahrt

Mein erster Vertrag bei der US-Reederei neigt sich nach sechs intensiven Monaten dem Ende zu. Ich spüre die -vor allem geistige- Erschöpfung und freue mich, in drei Tagen in Hamburg von Bord zu gehen, um Urlaub zu machen. Während ich mit meinen Kollegen in der Crew Mess (Mitarbeiterkantine) sitze, verliere ich mich in Tagträumereien. Wie möchte ich meinen Urlaub gestalten und wen werde ich wohl am meisten vermissen? Da klingelt mein Telefon, es ist einer der Crew Purser, der mich zum Gespräch ins Büro bittet.

Verlegen eröffnet er mir, dass die Kollegen aus dem Head Office in Miami darum bitten, dass ich für zwei Monate eine Vakanz auf einem ihrer Schiffe in den USA covere. Das würde bedeuten, dass ich meinen Vertrag auf insgesamt acht Monate verlängere und erstmal nicht in Urlaub gehe.

You had me at L.A.

Es geht um eines der kleineren Schiffe, das im Wechsel mit 3- und 4-Tageskreuzfahrten auf dem Pazifischen Ozean unterwegs ist. Die Häfen: Los Angeles, San Diego, Santa Catalina Island und Ensenada in Mexiko. Um ehrlich zu sein hatte er mich schon bei Los Angeles. Allesamt waren es mir bis dahin unbekannte Häfen. Es bimmelte in meinem Kopf wie bei einer Slot Machine im Casino, die der Omi gerade den Gewinn auswirft. Die Weltneugierige in mir besiegte natürlich die Erschöpfte. Müde? Ich doch nicht! Klar, mach ich es.

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Monarch of the Seas vor Santa Catalina Island

Der Crew Purser leitete alles für meinen Schiffswechsel in die Wege: Transfers, Flug und Hotel. Das dachte ich zumindest. In Cork / Irland wurde ich wenige Tage später abgeholt und zum Flughafen gebracht. Mein erster Langstreckenflug war -trotz einmal umsteigen in Atlanta- recht angenehm. Von den Kontrollen bei der US-Immigration am Flughafen in L.A. kann ich das nicht behaupten. Sie zogen sich so sehr in die Länge, dass mein Koffer schon weggesperrt und niemand mehr von der Airline verfügbar war. Na wunderbar. Also erstmal ins Hotel und morgen alles regeln.

Ich gehe zum Ausgang und durchsuche die Unterlagen, die ich mitbekommen habe. Scheinbar wurde kein Hotel gebucht. Den Crew Purser auf der Jewel erreiche ich jetzt nicht – Schiff auf See, Zeitverschiebung und überhaupt. Ok, das ist der Moment, in dem das erste Mal ein wenig Panik in mir aufsteigt. Madame Dussel hätte das vorher alles prüfen können statt sich darauf zu verlassen alles auf dem Silbertablett serviert zu bekommen. Jetzt war aber nicht die Zeit mich zu ärgern. Eine Lösung muss her, denn Lust am LAX zu übernachten habe ich nun wirklich nicht. Ich sehe mich um und entdecke ein riesengroßes Board mit Hotelschildern und in der Mitte ein Telefon. Sie waren alle per Kurzdurchwahl erreichbar. Ich beginne eins nach dem anderen anzurufen. Beim vierten Hotel kann ich endlich aufatmen – sie haben ein Zimmer für mich und sagen mir, wann der nächste Shuttle vom Flughafen ins Hotel fährt. Check.

Stadt der Engel

Am Folgetag habe ich nicht nur Zeit, um meinen Koffer zurück zu bekommen, sondern auch um L.A. in Kürze zu erkunden: Beverly Hills, Rodeo Drive, Hollywood Walk of Fame und Universal. Ganz ehrlich, es ist schon beeindruckend, aber meine Erwartungen waren derart hoch, dass ich es am Ende doch eher als enttäuschend empfinde. Wo ist der Zauber? Naja, ist immer so eine Sache mit den Erwartungen. Dennoch bin ich froh und dankbar, dass ich die Möglichkeit hatte, das alles zu sehen und zu erleben, bevor ich einschiffe. Denn der port of L.A. ist der Turnaround Hafen der Kurzkreuzfahrten und darüber, dass man an diesem Tag als Crewmitglied keine Zeit für Sightseeing hat, hatte ich hier ja bereits berichtet.

Bei der Einschiffung lief alles reibungslos ab. Meine neuen Kollegen waren super gut drauf und ich konnte bereits absehen, dass das kein Einsatz war, bei dem ich mich überarbeiten würde. Es ist ein relativ kleines Schiff und hat kaum internationale Gäste, für die ich in meiner Funktion als IA zuständig bin. Es gab diese neue Regelung aus dem Head Office, dass jedes Schiff einen International Ambassador an Bord haben muss. So war ich also nun da – auf der Monarch of the Seas. Die Monarch war klassisch und hatte nicht viel vom neumodischen Schnickschnack der anderen Schiffe. Ich freute mich über eine schöne Kabine mit Schiffsauge und Essen vom Gäste Menu in der Officers Mess. Ja, über solch vermeintliche Kleinigkeiten freut man sich als Crewmitglied auf einem Kreuzfahrtschiff sehr.

Die Gästeklientel

Für mich hatte dieser Einsatz im Allgemeinen schon in gewisser Weise etwas von einem „Vor-Urlaub“. Doch eines habe ich nicht bedacht: die US-Immigration Behörden und die Short Cruises-Gästeklientel. Die Gäste kamen nicht mit Taschen oder Koffern an Bord, sondern mit großen Plastiktüten. Richtig gelesen. Plastiktüten. Als ich es das erste Mal sah, blieb ich etwas verwirrt stehen und schaute wahrscheinlich einen Moment zu lang verdattert drein. Es ist wahr – das ist ihr Gepäck. Was sollten sie auch groß brauchen für eine so kurze Reise, die die meisten ohnehin mit Saufen zubrachten.

Ein schwer zu ertragender Dienst für mich war der Gangway Dienst etwa 30-60 Minuten vor Ablegen. Wenn um die Zeit noch mehrere Hundert Gäste fehlten, war allen klar, dass sie kurz vor Schluss gleichzeitig wieder an Bord stürmen würden. Für diesen Ansturm konnten die Kollegen an der Gangway Unterstützung gebrauchen. Zum einen dabei, die Gäste zurück an Bord zu begrüßen und zum anderen, um die betrunkenen Massen zu kontrollieren und darauf zu achten, dass keine Situation eskalierte. Insbesondere der mexikanische Hafen Ensenada wurde genutzt, um sich (be)sinn(ungs)los zu besaufen. Kaum einer konnte gerade gehen als er/sie zurück an Bord kam. Ich muss gestehen, ich kann mit stark alkoholisierten Menschen nichts anfangen. Sie lösen Unwohlsein in mir aus, denn viele haben sich dann nicht mehr unter Kontrolle. Außerdem sind sie unberechenbar. Sie kommen einem viel zu nah – mit ihren Gesichtern und ihren Händen.

FBI & US-Immigration Control

Doch auch unter den Gästen eskalierte es im Laufe dieser Kreuzfahrten immer wieder. Kein Wunder bei dem Alkoholkonsum. Von häuslicher Gewalt, Drogen, Schlägereien bis hin zu Vergewaltigungen war alles dabei. Sogar bei den Kindern herrschte ein hohes Aggressionspotenzial. Ich erinnere mich an einen Vorfall, bei dem ein Kind einem anderen im Kids Club einen Stift mit solcher Wucht in die Hand rammte, dass dieses schwer verletzt vom Arzt behandelt werden musste. Alle drei bis vier Tage, also an den Turnaround Days in L.A. hatten wir stets Besuch vom FBI. Denn irgendetwas war in den Tagen zuvor immer passiert. Die kriminell gewordenen Gäste, die bis L.A. in einer Art Arrestzelle untergebracht waren, wurden dann dem FBI übergeben. Ich kann mich an keine Kreuzfahrtreise in diesen zwei Monaten erinnern, die vollkommen ereignislos gewesen ist.

Wenn nicht die Gäste oder das FBI für Aufsehen sorgten, dann war es die US-Immigration. Die Turnaround Days in L.A. begannen für alle Crew Mitglieder in aller Herrgottsfrühe um 4:30 Uhr, ganz gleich ob mit FBI oder ohne. Wir mussten dann mit unseren Reisepässen für Kontrollen vorstellig werden, bevor das Schiff freigegeben werden konnte. Dabei erschütterte mich ein Fall ganz besonders. Ein Restaurantmitarbeiter stand am Schalter neben mir und bat mich um Hilfe. Ich sollte für ihn übersetzen und ein gutes Wort für ihn einlegen. Er kam aus Peru. Vollkommen aufgelöst schaute er mich verzweifelt an.

Du siehst chinesisch aus

Der Beamte hatte ihm soeben mitgeteilt, dass es ihm in den US-Häfen nicht gestattet sein wird von Bord zu gehen. Wir erinnern uns: bis auf einen Hafen, waren alle Häfen, die wir anliefen, US-Territory. Ein Bordeinsatz von sechs bis acht Monaten und kaum die Möglichkeit mal einen Fuß auf festen Boden zu setzen und Abstand zu gewinnen, ist fast schon unmenschlich – wie im Gefängnis. Ich versuchte zu helfen – vergebens. Der Beamte erklärte, dass sie in letzter Zeit sehr viele chinesische Crewmitglieder hatten, die von Bord gingen und nicht mehr zurückkehrten. Sie blieben illegal in den USA.

„Da dieser Peruaner chinesisch anmutende Augen und somit sicher auch chinesische Wurzeln hatte“, verwehrten sie ihm die Einreise. Whaaaaaat???? Ich traute meinen Ohren kaum. Er wiederholte es noch ein paar Mal und blieb bei seiner Entscheidung. So etwas dilettantisches und vor allen Dingen offensichtlich rassistisches hatte ich zuvor noch nicht erlebt. Zurück an Bord holte ich mir Unterstützung der HR Managerin. Wir blieben in den Folgewochen dran und irgendwann durfte er tatsächlich wieder in US-Häfen von Bord gehen. Alles andere hätte ihn früher oder später in den Wahnsinn getrieben. Noch heute denke ich gerührt an diese freudestrahlenden Augen zurück, die mir aufgeregt von der Wende erzählen und sich bei mir bedanken. Ich hatte nicht das Gefühl viel getan zu haben. In gewisser Weise ist man „ohnmächtig“ vor der Staatsgewalt, besonders wenn man selbst Ausländer ist.

Das Ende naht

Die zwei Monate waren schon fast vorbei und das Head Office hatte mich offenbar vergessen. Nach einigen Diskussionen -diesmal lehnte ich eine weitere Vertragsverlängerung ab- bekam ich mein Rückflugticket. Acht Monate Bordeinsatz hatten mir gereicht. Die letzten acht Wochen mögen nicht so arbeitsintensiv gewesen sein, doch sie waren auf andere Art und Weise herausfordernd für mich. Auf mentaler Ebene gab es ganz schön viele Dinge zu verarbeiten. Doch wie immer hält sich auch das die Waage mit den positiven Begegnungen, Erlebnissen und Erfahrungen. Darüber hinaus sehe ich das inzwischen als einen der vielen Schritte meiner Persönlichkeitsentwicklung und -bildung. Wer mich und meine Geschichte kennt, wird mich nicht mehr fragen, wie ich es eigentlich schaffe immer so ruhig zu bleiben.

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