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Und plötzlich war alles anders…

Stillstand bedeutet Rückstand und das ist ein Zustand, der für mich untragbar – ja unerträglich – ist. Es muss immer weiter gehen. Ich bin ständig auf der Suche – eine schier nie enden wollende Reise. Diese Reise bezieht sich nicht nur auf ihre Bedeutung im herkömmlichen Sinn, sondern auch auf eine Reise in sein tiefstes Inneres. Die Reise zu sich selbst ist eine, die nie endet und sie kann zuweilen unglaublich anstrengend und ermüdend sein. Da heißt es Durchhalten. Was man über sich herausfindet ist erstaunlich. Grenzen werden gesprengt und das alles ganz unerwartet.

Es ist mir unglaublich wichtig meine Gewohnheiten immer wieder zu hinterfragen. Das kann bewusst geschehen, aber auch unbewusst von statten gehen. Worüber ich heute schreibe, ist von der Sorte „unerwartet“ und unbewusst. Es hat einfach Klick gemacht und es war um mich geschehen.

Chur / Schweiz

Ein Wochenende im Januar 2014 – mal wieder ein Neustart für mich. Ich bin gerade aus Frankfurt hierhergezogen. Eigentlich hatte ich einen mäßig guten Job, der aber mit dem besten Team daherkam, mit dem ich in einem „normalen“ Job an Land je das Vergnügen hatte. Freiwillig bin ich also nicht gegangen. Aufgrund von Kosteneinsparungen wurde die gesamte Abteilung outgesourct und wir mussten uns nach etwas Neuem umsehen. Ich hatte das Glück einen super Job in der Schweiz zu finden. Mein zweites Mal in der Schweiz – diesmal jedoch im operativen Head Office einer Flussschiffreederei. Hier sollte ich das Recruiting für die Schiffe verantworten und die Kolleginnen bei der Fahrtgebietsbetreuung unterstützen. Nur mal so viel als Hintergrundinfo, denn es soll in diesem Beitrag ja nun um etwas anderes gehen.

Ein kalter Tag in Chur

Ich sitze also in meiner kleinen möblierten Wohnung in der winterlichen Kleinstadt Chur. Mit Blick auf die verschneiten Berge packe ich meine Post aus. Da ist es ja. Das Vegan Starter Kit, das ich mir von Peta bestellt hatte. Wie ich auf die Idee gekommen bin, es mir zu bestellen ist mir ehrlich gesagt unklar. Ich habe absolut keine Ahnung. Besonders im Hinblick darauf, dass ich zu denjenigen gehörte, die vegan als zu extrem befand und, die ohne Käse niemals leben könnte. Das Starter Kit bestand aus bunten Broschüren, Stickern, Karten und Rezepten. Es ist alles sehr ansehnlich gestaltet und so fällt es mir nicht schwer mir alles one by one anzusehen und durch zu lesen. Ich erfahre welche Berühmtheiten sich für eine vegane Lebensweise entschieden haben und staune nicht schlecht. Die nächste Broschüre zeigt mir die Top Gründe für eine Veränderung auf und verbildlicht den allumfassenden Kreislauf. Menschenrechte gehen nicht ohne Tierrechte. Welche Zusammenhänge zwischen unseren Essgewohnheiten und dem Hungerleid der Menschen in den sogenannten Drittweltländern bestehen. Die verheerenden Auswirkungen auf die Umwelt. Informationen über die facettenreiche und „perfektionierte“ Ausbeutungsmaschinerie, die so gut vor uns versteckt wird. Das unfassbare Leid fühlender Wesen. Mir dreht sich der Kopf. Das ist alles ganz schön viel auf einmal. Vor allem für jemanden, der zuvor gerne die Augen davor verschlossen hat und sich auf die gut funktionierenden Verdrängungsmechanismen in seinem Kopf verlassen hat.

Erstmal Tee kochen

Ich brauche eine Pause und mache mir einen Tee. Ich schwanke – soll ich die Unterlagen beiseitelegen und für meinen „Seelenfrieden“ wieder die Augen verschließen? Oder kämpfe ich mich jetzt dadurch? Wenn ich das alles erstmal weiß und bewusst aufnehme, verarbeite – dann gibt es kein Zurück mehr. Pause. Ich entscheide mich dafür meine Komfortzone zu verlassen. Ich nehme den mehrseitigen Bericht einer Tierärztin  zur Hand. Sie erzählt von ihren Erfahrungen im Schlachthof. So absurd es klingen mag – für angehende Tierärzte ist ein Pflichtpraktikum im Schlachthaus Teil des Studiums.

„Die Schreie sind das erste, was ich höre an jenem Morgen, als ich eintreffe, um ein Pflichtpraktikum anzutreten, dessen Verweigerung für mich fünf verlorene Studienjahre und das Scheitern aller Zukunftspläne bedeutet hätte. Schon aus der Ferne, als ich aus dem Bus steige, höre ich die Schreie der Schweine. Sechs Wochen lang werden sie mir in den Ohren gellen, Stunde für Stunde, ohne Unterlass. Durchhalten. Für dich ist es irgendwann zu Ende. Für die Tiere nie.“

Ich lese diesen Bericht, der mich in seinen Sog zieht. Ich bin mittendrin. Ich höre die Schreie, ich rieche den Tod, ich spüre die Panik, ich sehe die angsterfüllten Augen. Als wäre ich dabei. Es ist der pure Horror. Ich fange an zu zittern. Aufhören kann ich nicht. Ich kann dem nicht entkommen. Ich fühle den Schmerz als wäre es mein eigener. Durchatmen. Die Tränen fließen.

Ich lasse sie fließen und lese weiter. Weiter und noch mehr. Dabei erfahre ich, warum auch Milchprodukte und Eier im Todeskreislauf inbegriffen sind und sie nicht besser sind als Fleisch. Dass Fische ebenso leidfähige Wesen sind und von der Umweltkatastrophe, die der industrielle Fischfang anrichtet. Der Appetit ist mir vergangen. Später realisiere ich, dass ich an diesem Wochenende einen kleinen Nervenzusammenbruch hatte. Nicht verwunderlich, wenn man der Realität mit offenen Kanälen ins Auge sieht. Damals habe ich mir immer eingeredet, dass es Ausnahmen sein müssen. Jetzt wird mir klar, dass es keine Ausnahmen sind – sondern die Regel.

Eine neue kulinarische Welt

Nach diesem Wochenende steht für mich fest, dass ich die Ausbeutungsindustrie nicht länger mit meinem Konsumverhalten unterstützen möchte. Der Entschluss steht. Ich kaufe mir „Vegan für Einsteiger“ von Rüdiger Dahlke und „Vegan for Fun“ von Attila Hildmann. So umstritten er auch sein mag. Seine Rezepte sind mega. Ich entdecke eine ganz neue Welt und beginne zu experimentieren. Dabei lerne ich das erste Mal richtig und bewusst kochen. Es macht Spaß. Ich liebe es. Im Büro gibt es immer wieder Verkostungen, denn ich brauche ja auch die Meinung anderer. Sie machen meinen spannenden Neubeginn mit und fragen immer wieder neugierig, was ich denn heute dabeihabe. Es gibt Heidelbeer-Muffins, Tabbouleh, Quinoa Gerichte, Tiramisu, Eiscreme, Schokoladencreme und so weiter und so fort.

Die Umgewöhnung fiel mir erstaunlich leicht. Außer auf Dienstreisen. Besonders Dienstreisen in Länder, die sehr „tierproduktlastig“ sind. Hin und wieder muss ich akzeptieren auch mal Kartoffeln zu essen, die in Butter geschwenkt sind. Dass ich auf Reisen auf vegetarische Produkte ausweichen muss, mag ich nicht. Ich wusste mir aber auch nicht anders zu helfen. Denn es kommt noch hinzu, dass ich eher die Sorte Mensch bin, die nicht auffallen und nicht anecken will. Irgendwann lernte ich, auch auf Reisen komplett tierfrei auszukommen. Aber das ging nicht von heute auf morgen. Inzwischen habe ich in Restaurants im In- und Ausland gute Wege gefunden es für niemanden allzu kompliziert zu machen. Das ist übrigens auch immer der ultimative Test, um herauszufinden, ob in einem Restaurant frisch gekocht wird oder nicht. Wie? Indem ich zum Beispiel darum bitte, die Champignons zum Beispiel mit Olivenöl, statt mit Butter zuzubereiten. Wenn das eine Herausforderung ist, dann weiß ich, dass das alles schon vorbereitet irgendwo rumsteht (wer weiß wie lange schon) und nur noch aufgewärmt wird.

Über Essen hinaus

Ich passte Schritt für Schritt auch meine Gewohnheiten im Hinblick auf Alltagsdinge um. Ich wechselte Cremes, Shampoo und Kleidung. Ich wollte nichts mehr an mir haben, wofür ein fühlendes Lebewesen hat leiden müssen. Vegan bedeutet nicht perfekt zu sein und zu 100% kann leider niemand auf Tierleid verzichten.

„Veganismus ist eine Lebensweise, die versucht – soweit wie praktisch durchführbar – alle Formen der Ausbeutung und Grausamkeiten an leidensfähigen Tieren für Essen, Kleidung und andere Zwecke zu vermeiden; und in weiterer Folge die Entwicklung und Verwendung von tierfreien Alternativen zu Gunsten von Mensch, Tier und Umwelt fördert. In Bezug auf die Ernährung bedeutet dies den Verzicht auf alle Produkte, die zur Gänze oder teilweise von Tieren gewonnen werden.“


Vegan Society of England 1944

Es reichte mir übrigens nicht die Peta Artikel zu lesen. Ich wollte alles ganz genau wissen. Dafür recherchierte ich online und in Büchern. Wie steht die Philosophie zu dem Thema? Ein veranschaulichendes Beispiel gibt es von Richard David Precht, der in seinem Buch „Wer bin ich und wenn ja wie viele?“ im entsprechenden Kapitel ein Szenario darstellt, indem die Welt von intelligenteren Wesen übernommen wird, die mit den Menschen das tun, was wir heute mit anderen Tieren tun. Dieses Buch regt übrigens auch bei ganz anderen Themen zum Nachdenken an und ist absolut lesenswert. Desweiteren las ich unter anderem „Tiere essen“ von Jonathan Safran Foer. Als ich dachte, dass ich alles an Grausamkeiten dieser Industrie schon kannte, belehrte mich sein Buch eines Besseren. Es ging tatsächlich noch schlimmer. Foer ist kein Veganer oder Vegetarier. Als er sein erstes Kind erwartete, entstand der Wunsch in ihm, sich intensiv mit dem auseinanderzusetzen, was einem als LEBENSmittel vorgesetzt wird. Dabei präsentierte sich ihm ein unsagbares Grauen, das er niederschrieb. Wer sich dafür interessiert, wie Grausamkeit industrialisiert wird, wo der Ursprung der Massentierhaltung liegt, welche Folterpraktiken Gang und Gebe -ja sogar legal- sind, wie die Industrie es schafft den Verbraucher im Dunkeln zu lassen, welche Konsequenzen Tierhaltung auf Menschen, Natur und Umwelt hat, dem sei das Buch geraten. Ich lese aber nicht nur über all die grauenvollen Dinge, sondern auch darüber wie sich ein pflanzenbasiertes Leben positiv auf die Gesundheit und das Wohlbefinden auswirkt. Und all das kann ich nur bestätigen.

Berauscht…

Einige Monate gehen ins Land und ich fühle mich wie im Rausch. Berauscht von dieser neuen Welt. Vor allem aber berauscht von dieser überschwappenden Welle inneren Friedens, der mich erfüllt und beglückt. Und das im Dauerzustand. Einfach so. Ich fühle mich gut. Endlich bin ich mit mir im Reinen.

Mein erstes Resümee nach 5 Jahren plant based life: Es geht mir gut. Ich bin gesund. Habe keine Mangelerscheinungen. Meine Entscheidung habe ich nie bereut. Im Gegenteil. Die einzige Reue, die mich manchmal überkommt ist die, dass ich es nicht früher erkannt habe und meine Konsequenzen gezogen habe.

Buch Tipps:

Richard David Precht – Wer bin ich und wenn ja wie viele?

Richard David Precht – Tiere denken

Johnathan Safran Foer – Tiere essen

Dr. Rüdiger Dahlke – Peace Food

Peter Singer – Animal Liberation

Wusstest du, dass die Fleischproduktion und Massentierhaltung schädlicher für das Klima ist als alle Transportmittel zusammen?

Wenn du auch versuchen möchtest deinen Fleischkonsum zu reduzieren, deine Gewohnheiten zu ändern und aber nicht so recht weißt, wo du ansetzen sollst, dann: Let’s talk! Ich freue mich auf deine Nachricht.

Bis dahin findest du hier auf dem Blog unter dem Schlagwort „vegan“ viele einfache Rezepte für den Alltag. So kompliziert, wie man es sich vorstellt, ist es nämlich gar nicht 😉