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Im Rausch auf Meeresrauschen

Im Laufe meines ersten Vertrags an Bord, habe ich fast 10 kg zugenommen. Das ist sehr viel! Insbesondere auf so einer kleinen Person wie mir. Als ich nach diesen sechs Monaten wieder nach Hause kam, hat meine Mutter sich wirklich erschrocken und mich gefragt, was denn da los war. „War das Essen so gut?“ Das ist nicht nett, aber ich habe es gebraucht.

Da saß ich also wieder in meinem „Kinderzimmer“ in Lippstadt und fragte mich, woher das denn nun kommt. Am Essen lag es nicht. Ich habe mich normal ernährt und nicht mehr als sonst auch. Langsam dämmerte es mir… Es war der Alkohol. Ich hatte zuvor nie in so einer Regelmäßigkeit, wie es auf dem Schiff schnell zur Gewohnheit wird, getrunken. Und noch schlimmer: Meistens war es Baileys. Genau, Sahne mit Alkohol. Das avancierte schnell zu Alessias und meinem Lieblingsgetränk an Bord. Eh wir uns versahen, tranken wir auch mal 2 Flaschen zu zweit an einem Abend. Das war jetzt nicht jeden Abend so, aber viel zu oft. Kein Wunder, dass ich plötzlich 10 Kilo mehr auf den Rippen hatte. By the way, ich bin sie in den 6 Wochen zuhause fast vollständig wieder losgeworden 😉

„Come on, just one drink“

Reflektieren wir doch einmal. Wenn ich auf meine Jahre an Bord zurückblicke, dann wird es ganz klar. Wenn man sich nicht gerade in der Kabine verschanzt, dann wird Alkohol zwangsläufig irgendwann in gewisser Weise zum Alltag.

Es ist ganz normal, dass man sich nach Feierabend noch mit Kollegen in der Crew Bar auf einen (oder mehrere) Drink(s) trifft „Come on, just one drink“. Da, wo bzw. wem es gestattet ist, auch in den Gäste-Bars, bei Overnights in den Häfen oder natürlich im kleinen Kreis bei Cabin Partys oder dem allgemeinen Get-Together. Besonders nach einem schlechten Tag, wenn einem die allerletzten Nerven geraubt wurden.

Auf einem der Royal Caribbean Schiffe, auf denen ich gearbeitet habe, gab es eine große Crew Bar, die nach hinten raus offen war. Eine sehr schöne und einladende Bar für Crew Mitglieder. Sie war auch ausschließlich für Crew. Gäste hatten keinen Zutritt. Hier gab es nun jeden Abend -außer am Einschiffungstag- eine Themenparty. Dienstag war Latin Night, Mittwoch war Caribbean Night, Donnerstag war Techno Night, Freitag war House Night, und so weiter und so fort. Die ganzen Nationalfeiertage, die begangen werden, nicht zu vergessen. Über 60 Nationalitäten. Da gibt es viel zu Feiern und zu Trinken. Und da fällt es schwer sich dem zu entziehen.

Felices Fiestas Patrias – Der peruanische Nationalfeiertag „Viva el Perú“
Das Gedankenkarussell dreht sich immer weiter

Ich erinnere mich an eine Zeit an Bord, als ich ohne einen letzten Martini vor dem Schlafen gehen, einfach nicht einschlafen konnte. Für alle, die noch nicht an Bord gearbeitet haben, ist es wahrscheinlich schwer nachzuvollziehen. Aber an Bord ist man ständig auf Sendung. Immer angeknipst. 24/7. 7 Tage die Woche. 6 Monate lang. Ohne Unterbrechung. Es gibt kein Privatleben. Selbst wenn man in der Freizeit draußen ist und auf Gäste trifft, ist man automatisch wieder in der Gastgeberrolle, was auch so sein sollte.

„Das und das muss noch erledigt werden. Wie hatte der das eigentlich gemeint? Ganz schön unverschämt dieser Gast und respektlos noch dazu. Muss ich mir sowas gefallen lassen? Ich hoffe der älteren Dame für die ich im Krankenhaus übersetzt habe, geht es wieder besser. Warum nennt mein Boss mich eigentlich „Cookie“? Steh ich nicht drauf. Wie sage ich ihm das höflich?“ Und so weiter und so fort.

Das ist ein kleiner Auszug aus all den 100.000 Gedanken, die einem durch den Kopf schwirren. Man hat nur schwerlich Zeit das alles zu verarbeiten. Ich bin müde und will doch einfach nur zur Ruhe kommen. Leider gibt es keinen Knopf dafür. Da hilft ein Martini und schon fallen die Augen zu.

Ein schleichender Prozess

So schleichen sich Gewohnheiten an. Unbemerkt. Langsam kriechen sie hoch. Ich sitze auf meinem Bett, bin allein und schenke mir einen Martini ein. Und plötzlich denke ich mir: Brauchst du das gerade ernsthaft, um einzuschlafen? Wie gestern und vorgestern und vorvorgestern auch schon? Nein, das möchte ich so nicht mehr. Ich muss auch nicht auf jeder Party dabei sein. Egal wie oft meine Freunde und Kollegen mich in der Nacht anrufen. Ich muss meine Energien bündeln. Zeit für mich haben.

Ein prägendes Ereignis war für mich eine Overnight in St. Petersburg. Wir sind alle gemeinsam ausgegangen und haben zu viel getrunken. Am nächsten Morgen sollte ich die Ausflugsgäste treffen. Das habe ich verschlafen und meine Kollegin, die übernehmen musste, war stinksauer. Das war für mich das allerschlimmste Gefühl. Ich wäre am liebsten im Boden versunken. Es hat mich so aufgerüttelt, dass ich danach nie wieder so viel getrunken habe, dass ich es nicht unter Kontrolle hatte. Im Gegenteil, ich wurde zu derjenigen, die parat stand, wenn die anderen Kollegen mal zu viel intus hatten und ihren Einsatz verschliefen.

Das klingt jetzt als wäre ich eine Alkoholikerin gewesen. Tatsächlich kam es nur äußerst selten vor, dass ich mal so richtig betrunken war. Ich wollte die Kontrolle nicht verlieren. Das ist ein Grund. Ein anderer ist natürlich, dass man an Bord jederzeit auf einen Notfall gefasst sein und entsprechend agieren können muss. Jedes Crew Mitglied hat eine eigene Emergency Duty und um die auszuführen ist man im Idealfall bei klarem Verstand. Meine Duty war es auf der Kommandobrücke zu sein und die Durchsagen des Kapitäns zu übersetzen. In mehrere Sprachen. Ein Notfall kann aber auch von medizinischer Natur sein. Wenn ein Gast sich verletzt und ich zum Übersetzen auf die Krankenstation muss. Da kommt eine Fahne nicht so gut. Noch 3 Worte, die gegen Trunkenheit an Bord sprechen:

Zero Tolerance Policy

Es gab immer wieder mal sporadische Alkohol- und Drogenkontrollen. Zero Tolerance. Off you go. Das klingt erstmal, als wäre es für jeden unmöglich mehr als 1 Bier oder 1 Wein zu trinken. Im Crew-Alltag stellt es sich allerdings ganz anders dar. Es hält erstmal niemanden davon ab über das Promille Limit hinaus zu trinken. Die einen nehmen es sehr ernst, die anderen weniger.

Meine Schilderungen treffen natürlich nicht auf jeden Einzelnen an Bord zu, aber doch auf die Mehrheit. Work hard, Play hard. Für viele wird es zum Ausgleich für einen harten Arbeitstag. Die meisten haben es unter Kontrolle, viele aber auch nicht.

Ich könnte Romane darüber schreiben, was ich für Alkoholausfälle unter Crew und Gästen erlebt habe. Aber ich stimme mich einfach nur glücklich, dass ich die Muster bei mir selbst frühzeitig erkannt und die Reißleine gezogen habe.

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