abzocke-im-urlaub
Think Tank,  Travel

Gutes Abzocken als Urlaubserlebnis & was Angela Merkel damit zu tun hat

Golan Höhen, Israel (2016) – Ein älterer Herr sitzt auf einer kleinen Anhöhe kurz vor der Spitze, einem Viewpoint, von dem man aus nach Syrien rüber schauen kann. Als er uns entdeckt, steht er auf und strahlt uns an. Es ist eines dieser gütigen Gesichter, bei denen man aber auch direkt sieht, dass er den Schalk im Nacken hat. Damit ist seine Charmeoffensive dann auch schon eingeläutet. Er zeigt uns all seine selbsthergestellten Köstlichkeiten wie Feigenmarmelade und marinierte Oliven. Dabei erzählt er uns in gebrochenem Deutsch alle möglichen abenteuerlichen Stories. Irgendwann dann auch davon, dass Angela Merkel zu seinen besten Kunden gehört und sie bei ihrem Besuch hier oben auch ein paar Gläser seiner Feigenmarmelade mitgenommen hat. Es ist sehr amüsant und obwohl wir nicht geplant hatten einzukaufen, können wir seinem Charme nicht widerstehen. Zu stolzen Preisen erstehen wir einige seiner „Köstlichkeiten“.

Später stellen wir fest, dass vor allem die Oliven ganz schön schlimm schmecken und der Wein war auch schon drüber. Erst reden wir es uns noch schön. Wir wollen uns nicht eingestehen, dass wir auf eine ziemlich gute Masche reingefallen sind. Doch dann brechen wir in Gelächter aus und freuen uns einfach nur über diese Begegnung und den wirklich lustigen Moment, den wir da oben hatten.

Abzocke im Urlaub ist nicht gleich Abzocke im Urlaub

Wie du an der kleinen einleitenden Geschichte erkannt hast, geht es mir hier nicht darum, Abzocke im großen Stil von Touristikkonzernen schön zu reden. Es geht mir viel mehr um die kleinen Geschichten, die immer auch mit einer persönlichen Komponente daherkommen. Jeder von uns wurde schon mal im Urlaub ein wenig abgezockt. Die wenigsten reden darüber. Vielleicht, weil sie es sich nicht eingestehen mögen. Sehen wir diesen Artikel doch auch als kleines Plädoyer für die charmante Abzocke im Urlaub. Für mich gehört sie irgendwie dazu. Sie tut ja auch keinem weh.

Havanna, Kuba (2014)

Es ist unser erster Tag in Havanna. In der Nacht zuvor hatte es geregnet. Es riecht nach hoher Luftfeuchtigkeit und Nass, in den zahlreichen Schlaglöchern haben sich große Pfützen gebildet, der Himmel ist noch immer ein wenig grau und dennoch ist es irgendwie bunt. Ziel- und planlos schlendern wir einfach durch die Straßen – wir scheinen die einzigen Reisenden zu sein (die Vorzüge der Nebensaison). Ein Pärchen kommt auf uns zu und spricht uns an. Wir sind uns auf Anhieb sehr sympathisch. Sie wollen uns einen Music Club zeigen, den sie uns für den Abend sehr empfehlen. Wir betreten ein uraltes Gebäude, die Treppen knatschen. Oben angekommen ist eine schöne Bar. Es ist zwar gerade mal 11 Uhr, aber warum nicht jetzt schon den ersten Mojito bzw. Cuba Libre gönnen? Wir laden ein. Sie erzählen uns, dass Havanna aphrodisierend ist, außerdem vom Leben auf Kuba, dem sozialistischen System und dem Lebensmittelmangel.

Henrique fragt meinen Freund, ob er nicht original kubanische Zigarren haben möchte, er habe da seine Connections. Die beiden verschwinden zusammen. Lupe erzählt mir, dass die Milchrationen, auf die jeder Anspruch hat, meist nicht genügen, besonders im Hinblick darauf, dass sie ein Baby haben, das ernährt werden will. Die Herrschaften kehren mit einer in Packpapier umwickelten Box zurück und zünden sich eine Zigarre an.

To make a long story short:

Einige Drinks später verabschiedeten wir uns. Wir gaben ihnen etwas Bargeld. Ohne uns ausdrücklich darum zu bitten, haben sie darum gebeten. Für die Milch, für ihr Baby. Gegen Ende des Urlaubs stellen wir fest, dass auch die Zigarren etwas überteuert waren. Fragen wir uns im Nachhinein, ob es das Baby wirklich gab und sie das öfter mit naiven Touris abziehen? Ja. Fühlen wir uns ausgenutzt und echauffieren wir uns über solch ein Verhalten? Nein. Warum? Weil es dennoch eine schöne Begegnung mit lieben Menschen war, wir durch ihre Erzählungen einen ersten Einblick in die kubanische Seele erhalten haben und einfach einen echt schönen ersten Vormittag in Havanna hatten. Macht uns das zu naiven Trotteln? Vielleicht. Wir sehen das allerdings nicht so.

Galle, Sri Lanka (2018)

Es ist unser vorletzter Urlaubstag auf Sri Lanka. Wir halten gerade Ausschau nach einem TukTuk, um zurück nach Hikkaduwa zu fahren, als uns ein älterer Herr anspricht. Er möchte wissen, wo wir herkommen. Als er Deutschland hört, erinnert er sich an die große Tsunami Katastrophe von 2004 und lobt das soziale Engagement der Deutschen, die Katastrophenhilfe geleistet haben. Sein Gesichtsausdruck verdüstert sich bei der Erinnerung an den Tsunami und seinen Auswirkungen. Er hat neben all seinem Hab und Gut, viele liebe Menschen verloren und wurde selbst schwer verletzt. Noch heute leidet er auch physisch darunter. Er öffnet einen Knopf seines Hemdes und zeigt uns eine große Narbe. Er braucht regelmäßig Medikamente. Teure Medikamente, die er sich kaum leisten kann. Er zeigt auf die Apotheke gegenüber und bittet uns, ihm das Medikament für diesen Monat zu spenden. Wir tun es.

Kam bei uns im Nachhinein einmal kurz der Gedanke auf, dass es eine Masche sein könnte, mit der er Geld verdient, indem er die Medikamente gegen Barauszahlung retourniert? Ja. Bereuen wir es? Nein. Warum? Weil es außer Frage steht, dass er das Medikament oder das Geld für seinen Lebensunterhalt benötigt. Wir spenden doch immer alle aus der Ferne. Warum also nicht einfach auch mal direkt?

Alexandria, Ägypten (2005)

Endlich Feierabend, die erste. Wir sind als Crewmitglieder an Bord, haben soeben unsere Vormittagsarbeiten erledigt und können jetzt auch raus. Mit einem Shuttle gelangen wir ins Zentrum von Alexandria. Geplant haben wir nichts. Wir gehen einfach drauf los. Aus einer kleinen Seitenstraße tritt plötzlich ein junger Mann hervor und fragt uns, ob wir uns nicht auch einen Ring mit unserem Namen in ägyptischen Hieroglyphen wünschen. Er erscheint uns etwas suspekt, aber No risk No fun. Wir folgen ihm durch mehrere kleine Seitenstraßen, bis wir im Hinterhof eines Wohnhäuschens angekommen sind. Als erstes braucht der „Schmied“ unsere Namen. Dann werden die Ringe vor unseren Augen mit den Hieroglyphen unserer Namen versehen. Wir zahlen – nicht wenig. Dennoch – wir sind begeistert und stolz wie der alte Bolle, als wir wenig später mit unseren einzigartigen Ringen wieder Richtung Schiff gehen. Zwei Tage später Ernüchterung: die einzelnen „Hieroglyphen“ fallen einer nach dem anderen ab.

Ärgern wir uns darüber? Ja. Haben wir kurz daran gedacht, dass da einfach random Hieroglyphen aneinandergereiht wurden oder, dass da gar etwas richtig Fieses stehen könnte statt unserer Namen? Klar. Können wir heute darüber lachen? Hell yeah.

Ein bisschen Abzocke gehört halt dazu – so what?

Wenn ich an meine Reisen zurückdenke, dann erinnere ich mich gern auch an diese Komponenten. Sie bringen mich mindestens genauso zum Lachen wie die lustige Begebenheit XY, die mich nichts „extra“ gekostet hat. Vielleicht sogar noch mehr. Ich möchte die Welt nicht verschlossenen Auges und Herzens erkunden. Oder mir Scheuklappen zulegen, die mir großartige Erlebnisse verwehren.

Wir verfallen zu schnell in diese Denke, dass die anderen uns immer etwas Böses wollen oder uns etwas wegnehmen wollen. Wir müssen bloß smart sein und uns keine Blöße geben. Wozu das Ganze? Um € 10 oder € 20 mehr
für unnütze Souvenirs in der Tasche zu haben? Was bringt es mir denn, wenn ich so durchs Leben und meine Reisen gehe? Ich nehme mir selbst etwas weg und das möchte ich nicht.

Ich möchte an das Gute im Menschen glauben.

Mumbai, Indien (2011)

In Mumbai habe ich mal einen unserer Kreuzfahrtausflüge in einen Tempel begleitet. Vor dem Tempel waren viele Erwachsene und Kinder, die Blumengaben an die Besucher und Gläubigen verkauften. Da war dieser kleine Junge mit seinem Strahlegesicht, der mir unbedingt seine letzten Blumen verkaufen wollte – für 2 USD. Keine Frage, ich hätte ihm die hübschen Blumen sofort abgekauft, wenn ich mein Portemonnaie nicht auf der Kabine vergessen hätte. Das tat mir in diesem Moment besonders leid. Ich entschuldigte mich bei ihm und gab ihm die Euro Münze, die ich lose in meiner Tasche fand. Damit konnte er nichts anfangen. Er bat nochmal um 2 USD. Ich versuchte mich nochmal an Erklärungen. Als ich gerade im Begriff war zu gehen, kam er hinterher, fasste mich am Arm und übergab mir die Blumen. Ich nahm ihn in den Arm und bedankte mich. Tränen kamen mir hoch – aus so vielen Gründen.

Hätte ich diese rührende Begegnung gehabt, wenn ich mich den „bösen Verkäufern da draußen“ verschlossen hätte und mit Augenklappen schnurstracks zum Ausgang gestampft wäre? Nein, ganz sicher nicht.

Ich halte es für das kleinere Übel, übers Ohr gehauen zu werden, als knurrend mit gefletschten Zähnen durchs Leben zu gehen.

Thomas Wolfe – Schriftsteller

Wurdest du auch schon mal ein wenig abgezockt im Urlaub? Nimmst du es locker oder eher nicht? Let’s talk! Ich freue mich auf deine Nachricht.