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Dein Bauchgefühl bei Bewerbungsgesprächen

In meiner bisherigen Laufbahn habe ich viele Bewerbungsgespräche führen dürfen. Auf beiden Seiten. Als Bewerberin und als Recruiting Verantwortliche.

Im Laufe der Zeit hat sich ein entscheidender Aspekt grundlegend geändert. Bewerber sind den Unternehmen inzwischen gleichgestellt. Es ist ein Aufeinandertreffen auf Augenhöhe geworden. Bedauerlicherweise ist das vielen noch nicht bewusst. Warum nicht? Weil die Bewerber noch immer auf dieselbe Art gecoacht werden wie noch vor über 10 Jahren und weil es für die Unternehmen angenehmer ist, am vermeintlich längeren Hebel zu sitzen.

Die Zeiten ändern sich

Es ist an der Zeit, dass sich das ein für alle Mal ändert.  Für die Bewerberseite bedeutet dies, sich dessen bewusst zu werden, dass nicht alles Gold ist was glänzt. Dass die Be- oder gar Verurteilung durch ein Unternehmen kaum eine Bedeutung hat. Dass nicht alles, was das Unternehmen macht oder sagt automatisch richtig ist. Dass es nicht das Unternehmen ist, das über Erfolg oder Misserfolg im Leben entscheidet.

Vor allen Dingen aber: Wie das Unternehmen sich im Verlauf des gesamten Bewerbungsprozess präsentiert, insbesondere im persönlichen Gespräch, lässt darauf schließen, wie es ist bei dem und für das Unternehmen zu arbeiten. Hier ist unser Bauchgefühl gefragt.

Aus meinen eigenen Erfahrungen möchte ich zwei Beispiele anführen. Bei einem habe ich nicht auf mein Bauchgefühl gehört, beim anderen habe ich es getan.

Beispiel 1 – Vorstellungsgespräch bei einem internationalen & renommierten Hotelkonzern in Frankfurt am Main:

Ich betrete die Hotellobby und bekomme ein erstes Gespür für die Atmosphäre und das Arbeitsklima. Es wirkt recht kühl. Das könnte auch der Fancy-Faktor sein, denke ich mir. Bisschen steif halt. Glücklich sehen die Mitarbeiter nicht unbedingt aus, aber freundlich sind sie. Nach einigen Minuten werde ich von der Personalerin und der Fachabteilungsleiterin empfangen. Das Gespräch verläuft ganz nett. Am Ende sagen sie mir, dass der zweite Teil der Vorstellung ein Gespräch mit dem General Manager vorsieht. Ich solle mich nicht wundern, er wende etwas ungewöhnliche Methoden an, um Bewerbern auf den Zahn zu fühlen. Nun gut, was immer das heißen mag. Ich bin bereit.

Für das was kam, war ich jedoch nicht bereit. Der gute Herr muss sich irgendwann einmal selbst zum großen „Zampano“ ernannt haben und trat entsprechend auf. Kritisch und von oben herab betrachtete er meinen Lebenslauf und ging dann dazu über ihn Stück für Stück zu zerrupfen. Er fragte mich, warum ich meine Lebenszeit mit all diesen Stationen verschwendet habe. Hätte ich den klassischen Hotel-Weg gewählt und wäre auf diesem geblieben, könnte ich heute schon ganz woanders sein. Er wollte wissen, was mein Problem sei. Diese und weitere Fragen und Anmerkungen äußerte er in einem sehr abfälligen Ton mit einem noch abfälligeren Lächeln. Er bohrte und bohrte immer wieder. Ich war innerlich schockiert, reagierte jedoch gelassen und beantwortete seine Fragen soweit es eben ging, ohne sie persönlich zu nehmen.

Irgendwann war diese Farce beendet und ich konnte gehen. Die Damen sagten, dass es seine Art ist zu testen, ob jemand leicht aus der Fassung zu bringen ist. Na, das ist ja eine ganz tolle Taktik. Da gibt es doch sicher auch respektvollere Wege so etwas zu testen. Er hat sich für diesen Weg entschieden und ist an mir abgeprallt. Nach den vielen Jahren Hochseeschifffahrt haut mich eben nichts mehr um und schon gar nicht so einer, der meint er käme jetzt ganz clever daher.

Einen Tag später bekam ich die Zusage. Nun muss man wissen, dass ich an dem Punkt meines Lebens dringend einen Job brauchte und mich gegen mein Bauchgefühl entschied, indem ich den Job annahm. To make a long story short: Ich war nach 6 Wochen wieder weg (ich bekam glücklicherweise ein super Job Angebot einer internationalen Reederei Zentrale in FFM). Das Verhalten des GM beim Interview war die präzise Spiegelung der Art und Weise wie das Hotel geführt wurde. Respektlos und von oben herab. Das Arbeitsklima war schlecht. Die Mitarbeiter waren allesamt unzufrieden. Ich kann mich an keine einzige Person erinnern, die sich positiv zu ihrem Job in diesem Hotel geäußert hätte. Alle waren nur wegen des großen „Namens“ und seiner Reputation da.

Beispiel 2 – Vorstellungsgespräch bei einer Reederei, die mehr als einmal als TOP Arbeitgeber des Landes ausgezeichnet wurde

Pünktlich stand ich in dieser riesigen Zentrale für mein Interview bereit. Man ließ mich warten. Irgendwann wurde ich in einen großen Konferenzraum geführt. Sie wies mir eine Seite eines großen runden Tisches zu. Wieder warten. Dann kamen zwei schnatternde Damen herein, begrüßten mich und nahmen mir gegenüber auf der anderen Seite Platz. Ich fühlte mich wie vor Gericht. Vorgeladen und vorgeführt. Sie begannen das Gespräch, indem sie zunächst einmal von sich erzählten. Sehr ausschweifend davon wie großartig und begehrt sie doch seien. Dann kamen das obligatorische Hinterfragen und Kritisieren meiner beruflichen Entscheidungen.

Sie erzählten mir ein wenig von dem Job, um den ich mich beworben hatte und stellten mir konkrete Fragen dazu. Ich konnte nicht alle Fragen beantworten. Zugleich merkte ich aber auch, dass sie selbst keine Ahnung von der Ausführung des Jobs hatten. Wenn man selbst mal an Bord gearbeitet hat, fällt so etwas auf. Wer kennt nur die eine Seite und wer kennt sie beide (operative an Land und operative an Bord). Mit Ruhm bekleckerten sich die Damen nicht gerade. Das war aber auch nicht weiter schlimm. Denn in ihren Augen saßen sie ja am längeren Hebel und hatten sowieso immer Recht. So drehten sie den Spieß auf einmal um und begannen mich auf lehrerhafte Art und Weise dafür zu tadeln, dass ich mir keine Notizen machte. Ob ich ihnen erzählen wolle, dass ich mir das alles merken kann.

Abschließend der Satz: „Na also Sie konnten uns nun wirklich nicht überzeugen, aber wir geben Ihnen gerne noch eine Chance. Mit einem handschriftlichen Test.“ Dafür wurde ich wieder nach unten die Eingangslobby verfrachtet. 10 Seiten mit Fragen und Tests. Keine Herausforderung für mich. Ich war nach 10 Minuten fertig. Sie ließen mich noch weitere 20 warten. Dann noch weitere 30 Minuten für das Auswerten des Tests. Überrascht kam eine der Damen wieder zu mir runter, gratulierte mir zum fehlerfreien Bestehen und zur Zusage. Ich bat sie um Bedenkzeit. Begeistert war sie nicht. Wie konnte ich es jetzt auch noch wagen, eine direkte Jobzusage von „the one and only“ nicht sofort mit Begeisterung, Luftsprüngen und Dankbarkeit anzunehmen?

Ich verließ das Gebäude und begann alles noch einmal Revue passieren zu lassen. Wir waren so verblieben, dass ich mich mit meiner Entscheidung bis Ende der Woche melden würde. Jeden Tag ein Anruf oder eine Mail. Ich verwies auf meine Bedenkzeit. Eigentlich hatte ich mich aber schon entschieden. In genau dem Moment, indem sie mir das Testergebnis verkündete und mir den Job anbot. Ich wollte ihn nicht. Sie hatten tief blicken lassen. Wenn das ganze Verhalten die gelebte Unternehmenspraxis war, dann wollte ich nicht für sie arbeiten. Ich musste ja auch davon ausgehen, denn das war das einzige, was ich von dem Unternehmen kannte. Für mich war es so, wie sie es mir als Repräsentantinnen vorgeführt haben: arrogant und mal wieder von oben herab. Ohne mich. Ich lehnte ihr Angebot höflich dankend ab. In der Rückschau betrachtet, bin ich sehr froh, hier auf mein Bauchgefühl gehört zu haben.

Dein Bauchgefühl irrt nicht

Abschließend kann ich das allen nur raten. Hört auf euer Bauchgefühl. Es liegt immer richtig. Besonders in solchen Situationen. Wie ein Unternehmen sich euch präsentiert, so ist es in der Regel auch. Besonders bei Vorstellungsgesprächen vor Ort, bekommen Bewerber einen sehr guten Eindruck davon, wie eine Firma tickt. Darüber hinaus ist aber auch die gesamte Candidate Experience entscheidend. Wie gestaltet sich die Kommunikation während des gesamten Bewerbungsprozesses? Ist sie von Respekt und Verlässlichkeit geprägt oder vom Gegenteil?

Da wir uns heute alle auf Augenhöhe begegnen, können Bewerber mehr von den Unternehmen erwarten. Es ist ein gleichwertiges Werben um einander. Insbesondere in Zeiten des Fachkräftemangels, haben qualifizierte Bewerber, den Luxus, sich ihr Wunschunternehmen auszusuchen. Es ist nicht mehr umgekehrt.

Zu guter Letzt, noch mein persönlicher Tipp: Absagen niemals persönlich nehmen. Was nicht zusammengehört, kommt nicht zusammen. Und das ist auch gut so.

Welche Erfahrungen hast du gemacht?

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